| alpbach diaries 6

Durchatmen

Melanie Giovanazzi über Polarisierung und Meinungsbildung am Beispiel eines Seminars in Alpbach. Tag sechs der Alpbach Diaries.
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Foto: xx
  • Meinungen auszutauschen, zu diskutieren und verschiedene Ideen zuzulassen ist von fundamentaler Wichtigkeit in Gesellschaft und Politik. Kritisch wird es, wenn dies am Kitt unserer Gesellschaft rüttelt, wenn unsere Beziehungen sich im Streit um Positionen auflösen, man nicht mehr konstruktiv mit „den Anderen“ spricht. Wie können wir dann noch Lösungen erarbeiten?
    Genau das wurde im Seminar „Across Divides-Depolarisation of Communication“ zum Thema. Angeleitet von Maja Nenadovic und Alison Goldsworthy erlebten wir Polarisierung an uns selbst in einer Simulation, um anschließend dann darüber zu reflektieren, Hintergründe zu erforschen, um mit verschiedensten Ansätzen zur Reduzierung von Polarisierung am Freitag das Seminar zu verlassen.

     

    „Reizüberflutung schädigt unsere Fähigkeiten, Themen elaboriert zu betrachten.“

     

    Stellen Sie sich vor, Sie sind Kommunikationsbeauftragte einer US-Amerikanischen Lebensmittelkette. Am Wahltag wird einer der Mitarbeiter des Unternehmens im Wahllokal von Aktivisten angefeindet, er fühlt sich nicht frei in seiner Wahl. Der CEO schreitet ein und weist öffentlich auf den Umstand hin, dabei stellt er sich hinter den Kandidaten der anderen Partei. Sie haben nun den Auftrag, das Unternehmen zu schützen. Sie befinden sich in einem Team, wo vielleicht nicht alle ihr Ziel verfolgen? Es gibt noch keine Strategie. Zeitgleich erhöhen sich mit jeder Minute ohne Intervention die Einsätze im Kampf um die Profite. Ein WhatsApp-Chat, der wie Twitter agiert, reagiert prompt auf jede (fehlende) Äußerung. Wie verhalten Sie sich, was machen Sie, wenn zum Boykott des Unternehmens aufgerufen wird?
    Wie reagieren Sie? Schlagen Sie vor, sich auf die Seite eines Kandidaten zu stellen? Suchen sie eine neutrale Position? Welchen Einfluss hat das alles auf Ihre moralischen Einstellungen: sind Sie offen für jede Option?
    Dies war die mir zugeteilte Rolle in der Simulation, sie hätte auch Präsidentschaftskandidatin oder Akademikerin sein können. Unsere Gruppe hat einiges daraus mitgenommen. Wir tendierten dazu, Bilder und Videos gegenüber Text zu priorisieren und nahmen mehr kurze, prägnante und polarisierende Sätze als vertiefte Artikel. Reizüberflutung schädigt unsere Fähigkeiten, Themen elaboriert zu betrachten. Wir versuchen, die Welt in „Gut“ und „Böse“ zu unterteilen. Je tiefer man im Thema ist, umso schwerer ist es auch bei neuer Information, die Meinung zu ändern. Noch stärker ist dieses Phänomen bei Gruppendynamiken, wo die gemeinsamen Feindschaften Zusammenhalt und Glücksgefühle schaffen.

  • Melanie Giovanazzi: „Eine Antwort in einem depolarisierenden Gespräch gibt man erst nach Aufforderung, dann allerdings auf den anderen eingehend, während man seiner Meinung treu bleibt.“ Foto: Privat
  • Wie schaffen wir den Ausweg aus dieser Spirale? Durchatmen ist in Maja Nenadovics Methode der erste Schritt. Weiter geht es mit Zuhören, empathisch sein – wie kommt man zu dieser Meinung? – und dem Analysieren der Argumente – finden wir bestimmte Bias oder Denkfehler? Eine Antwort in einem depolarisierenden Gespräch gibt man erst nach Aufforderung, dann allerdings auf den anderen eingehend, während man seiner Meinung treu bleibt. Dadurch werden sich sicherlich die Beteiligten nicht sofort in den Armen liegen, doch mit etwas Geduld kann mit dem Großteil (nicht allen!) der Menschen ein Dialog hergestellt werden. 

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