Gesellschaft | Diskussionsabend

Der Linken auf der Spur

Während die Rechten europaweit für Gesprächsstoff und Wahlerfolge sorgen, scheint die Frage angebracht: "Wo oder was ist heute noch 'links'?"
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Ungarn, Polen, Österreich, Dänemark, Schweden, Deutschland, Italien und nicht zuletzt Frankreich. Was all diese Länder gemeinsam haben? Sie erleben derzeit einen Aufschwung rechter, rechtspopulistischer und rechtsextremer Bewegungen und Parteien. Flüchtlingsströme, Terroranschläge und eine immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen Arm und Reich bieten den idealen Nährboden für die Rechten. Die Lösungen, die sie anbieten sind meist ebenso simpel wie radikal. Allerdings gelingt es ihnen, zahlreiche verunsicherte, empörte und unzufriedene Bürgerinnen und Bürger mit ihren (vermeintlichen) Ängsten und Sorgen in ganz Europa aufzufangen – etwas, woran die Linke zu scheitern scheint. Wenig anders ist es in Südtirol. Wo die Rechtspopulisten der Lega Nord und Freiheitlichen mit platten Sprüchen und Slogans recht erfolgreich auf Stimmenfang, insbesondere unter der jüngeren Generation, gehen.

Es dürfte also ziemlich klar sein, was und wo ‘rechts’ ist. Wohingegen das Gespür für die Frage “Wo beziehungsweise was ist ‘links’?” verloren gegangen scheint. Gibt es ‘die Linke’ noch und was sind ‘linke’ Ideale? Am vergangenen Mittwoch Abend versuchte man im Meraner Ost West Club, Antworten zu geben. Geladen waren zum Zigori Club, der wie immer von Markus Lobis moderiert wurde, der Politologe und Meinungsforscher Hermann Atz sowie David Augscheller. “Der letzte Kommunist des Landes” wurde der Meraner Oberschullehrer von einigen Medien getauft. Er sitzt seit knapp zehn Jahren im Meraner Gemeinderat, zunächst für die Rifondazione Comunista, derzeit für die Ökosoziale Linke.

Unterschiedliche Gäste, unterschiedliche Meinungen. Markus Lobis zwischen Hermann Atz (links) und David Augscheller (rechts).
 

Keinen Bock auf Links und Rechts?

In Südtirol, so Atz, werbe kaum jemand im Wahlkampf mit den Kategorien “links” und “rechts”. Zurückzuführen sei das darauf, dass vor allem die deutschsprachigen Südtiroler weder das eine noch das andere sein wollten. “‘Links’ und ‘rechts’ sind verpönt unter der Mehrheitsbevölkerung. Diese will ‘Mitte’ sein”, erklärte Atz. Zu sehen sei diese Tendenz auch in der Politik selbst: “Es geht heute viel mehr um Personen, Tagesthemen und weniger um Programme oder größere Zielvorstellungen. Und auch die Wähler entscheiden nach Interessen und laufen oft den größten Schreihälsen nach.” Eine Entwicklung, die Atz vom “Ende der Ideologien” sprechen lässt. Wenig einverstanden damit zeigte sich David Augscheller. Für ihn steht fest: Die Konzepte von ‘rechts’ und ‘links’ sind keinesfalls überholt.

Die Linken bewegen sich schon in der Nähe einer Religion: Es gibt immer jemanden, der sagt: “Du bist von der Linie abgewichen” und sich selbst als die “wahre Linke” sieht. (Atz)


Eine Minderheit, die keine sein will

Es gebe einige grundlegende Werte, die zum ‘links Sein’ gehörten, so Augscheller: “Freiheit – die meine, aber auch die der anderen –, sich zu entwickeln und Interessen zu verfolgen; soziale Gerechtigkeit; eine antipatriarchalische – im Sinne von antihierarchische – Einstellung; radikaler Pazifismus.” Auf Basis dieser Werte gelte es heute für die Linken, sich mit der Gesellschaft zu wandeln und sie konkret zu verändern – immer vor dem Hintergrund, dass es auch heute in erster Linie “Ausgebeutete und Ausbeuter” gebe und die eigentlichen Verursacher der globalen Krisen als Profiteure aussteigen. Keine Sozialutopie, sondern konstruktive Vorschläge brauche es und diese kämen sehr wohl aus den Reihen linker Parteien und Bewegungen, europaweit. “Es gibt seit eh und je konkrete Vorschläge, um die Gesellschaft im Sinne einer gerechten Gesellschaft zu ändern. Daher wundere ich mich über die Vorwürfe, dass die Linken nur Bla Bla Bla redeten”, so Augscheller.

Die Politik heute repräsentiert vor allem Ohnmacht und nicht Macht. (Atz)

Warum es insbesondere in Italien für die Linken nicht mehr wirklich zu klappen scheint, führt er auf das italienische Wahlsystem zurück, das das Zentrum favorisiere. Die mäßigen Erfolge auf europäischer Ebene erklärt er hingegen folgendermaßen: “Linke Positionen fordern vom Einzelnen aber mehr, falls die umgesetzt werden, als rechte Positionen”, die Meinung der Meraner Gemeinderats. Wohl auch aus diesem Grund müsse Augscheller eingestehen, dass seine Ideen “nicht mehrheitsfähig” seien, hielt Hermann Atz entgegen: “Das ist das eigentliche Problem der Linken: Sie haben kein Programm, das mehrheitsfähig ist”. Die von seinem Gegenüber aufgezählten Grundwerte seien sicher zustimmungswürdig, so der Politologe. Doch insgesamt basierten die Ideen der Linken auf einem geschlossenen Wertesystem. “Während die Konservativen Zweckbündnisse eingehen und nach praktischen Lösungen suchen, bleiben die Linken weiterhin in einem geschlossenen Weltbild verhaftet, wo jeder meint auf der richtigen Seite zu stehen und es deshalb eine Abspaltung nach der anderen gibt”, meinte Atz.

Ich halte die Populisten für gefährlicher als den IS. (Augscheller)

Der bediente damit nur ein erstes Klischee, das den Linken bislang nur schwerlich gelungen ist, abzustreifen. Denn als Augscheller infolge einer Wortmeldung aus dem Publikum einen Versuch startete, einen weiteren Vorbehalt gegen die Linken, nämlich jenen, dass Kommunismus mit Faschismus gleichzusetzen sei, zu entkräften (“Kommunismus wie er etwa unter Stalin praktiziert wurde, hat Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Gewalt produziert. Faschismus andererseits definiert sich per se durch Gewalt und dadurch, dass er die Schwächeren ausschließt”), ließ Atz eine knappe Bemerkung fallen: “Das beweist wieder einmal, dass die Linke in ihrer schlimmsten Entartung immer noch besser sein soll als die Rechte in ihrer schlimmsten Entartung.” Entrüstung auf der anderen Seite. “Ich verwehre mich absolut gegen eine Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus”, unterbrach Augscheller den Politologen.


Unsichtbare Hände

Es war nicht das einzige Mal, dass sich die beiden Diskussionspartner im Laufe des Abends uneins waren. Eine seltene, wenn auch nicht explizite Einigkeit herrschte dann darüber, dass die Politik und mit ihr die Menschen heute von etwas bestimmt werden, auf das sie selbst keinen Einfluss haben. “Gremien wie die EZB, Weltbank, WTO oder Industriellenverband machen den europäischen Regierungen, die – ob links oder rechts – unterm Strich alle dieselben Politiken betreiben, Vorgaben. Gremien, die nicht gewählt sind, aber die den Alltag aller bis ins kleinste Detail bestimmen”, so die Ausführungen Augschellers. Etwas gemäßigter, aber nicht weniger deutlich die Worte Atz’: “Die Politik befindet sich heute insgesamt in einer Krise, sie muss immer wieder nur reagieren anstatt zu agieren. Das Problem ist, dass sie nichts mehr zu sagen hat und so tut, als ob sie nur Sachzwängen beziehungsweise dem ‘Druck der Märkte’ folgen müsste.”

Links sein heißt letztendlich, sich intellektuelle Instrumente, sprich, Ideologien, anzueignen, um die Welt zu interpretieren. Nur dadurch kann man sie auch verändern. (Augscheller)


Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Für den “letzten Linken des Landes” Augscheller kein Grund, seinen Einsatz in Frage zu stellen oder gar aufzugeben. “Denn was ist die Alternative zum politischen Engagement?”, seine rhetorische Frage. Man müsse sich rückbesinnen, auf die Zeiten, als die Parteien (Augscheller nannte PCI und DC als Beispiele) Momente der Konfrontation ermöglichten, wo man sich zusammen setzte und austauschte. Das sei abhanden gekommen und einem hektischen, unreflektierten und unfreien Leben gewichen. Daher sei es heute umso wichtiger, sich politisch und ‘links’ zu engagieren, sich als Linke ständig kritisch zu hinterfragen und alte Instrumentarien an die Gegenwart anzupassen. In diesem Sinne forderte Augscheller eine “Neuentdeckung Marx’”, den er für “unmöglich spannend” hält. Den Meraner Gemeinderat selbst nannte Hermann Atz in der Schlussrunde der Diskussion einen “Missionar seiner Sache”, er habe sich gefreut, den “letzten Kommunisten” kennenzulernen. Als Außenstehender stelle sich ihm allerdings nach wie vor die Frage, wie die Linken ihr eigentliches Projekt durchbringen wollen. Er sieht zwei Möglichkeiten: “Entweder sie bleiben konsequent und systemkritisch. Oder aber sie fragen sich, ob es nicht die Möglichkeit gäbe, mit wichtigen Programmpunkten mehrheitsfähig zu werden.”

Ganz klar war dann schließlich auch am Ende des Zigori Clubs nicht, was und wo denn ‘links’ nun genau ist. Doch zumindest lieferte die lebhafte Debatte, auch mit dem zahlreich anwesenden Publikum, den Beweis, dass es eine Menge Diskussionsstoff gibt – und eine Menge Leute, die Lust haben, mitzudiskutieren. Denn das machen die Linken bekanntlich leidenschaftlich gerne. Wenn sie dabei nur nicht die Zeit vergessen.