„Da war queer noch kein Konzept“

SALTO: Frau Settari, wie kommt man zu diesem Thema für eine Masterarbeit? Es wirkt fast, als würden Sie als Forscherin die schwierigste mögliche Quellenlage suchen…
Lisa Settari: Ich fange vielleicht mit der Quellenlage an. Es ist ja so, ich habe eigentlich vor dem Thema erst die Methode ausgewählt. Mir war wichtig, mit Oral-History zu arbeiten, weil ich das sehr spannend finde. Die Oral-History-Methode ist auch deshalb spannend und hilfreich, weil sie es ermöglicht, Themen, Perspektiven und Zeitzeuginnen, sowie Zeitzeugen in die Geschichtsschreibung zu bringen, die wir in den typischen schriftlichen Archivdokumenten nicht finden, zum Beispiel Alltagsgeschichte, Emotionsgeschichte, Erinnerungskultur, Minderheiten, benachteiligte Menschen und so weiter.
Ich stelle gerne Leuten Fragen und höre gerne ihren Geschichten zu und ich wusste, wenn ich mit lebenden Quellen arbeiten will, muss ich mit den Leuten reden, die auch noch jung genug und fit genug sind, um sich an etwas zu erinnern und darüber zu sprechen. Auch musste es um ein Thema gehen, das noch nicht zu sehr behandelt worden war und etwas, bei dem diese Leute nicht zu große Tabus verspüren, sonst fänden sich nicht genügend Personen. Ob ich genug Leute finden würde, das war ein bisschen ein Zittern. Ich habe zehn Frauen gefunden, glücklicherweise und konnte alle zweimal interviewen. Da kommt man dann auf zwanzig lange Interviews, was für eine Masterarbeit gut geht.
Zum anderen Teil der Frage zum Thema der Arbeit. Mir war es doch wichtig – vielleicht zu meiner eigenen Überraschung – zur Südtiroler Geschichte zu forschen, oder, besser gesagt, zur Geschichte in Südtirol. Die Südtiroler Geschichte ist ja doch eher ein Kanon, bei dem es um relativ ähnliche Themen geht…
Ein Kanon, der meistens schriftlich definiert wird…
Absolut, ja. Die Quellen sind meistens schriftlich. Die großen Persönlichkeiten sind da große Personen aus der Kirche, aus der Politik, oder andere Personen des öffentlichen Lebens. Privatpersonen sind auch erforscht worden, aber da gibt es auf alle Fälle noch viel zu tun.
Mir war aber wichtig, ein Thema in der Südtiroler Geschichte, eine Geschichte in Südtirol aufzugreifen, das noch nicht erforscht worden ist und auch an mich den Anspruch zu haben, eine Lücke füllen zu wollen. Ich wollte auf die Südtiroler Vergangenheit schauen und diese durch eine andere Linse sehen. Das war die Linse von Frauen- und Gendergeschichte, wie auch der so genannten Queer History.
„Ich widme diese Masterarbeit all jenen, die nie gefragt oder konsultiert wurden, deren Stimmen nicht gehört wurden, weil sie als zu anders oder zu gewöhnlich galten. Möge ich, mögen wir, immer daran denken, wohlwollende, ehrliche Fragen zu stellen und vor allem zuzuhören.“
Sie wählen schon im Titel die Formulierung „frauenliebende Frauen“. Wollen Sie zur Begrifflichkeit etwas sagen, warum Sie diese Worte gewählt haben?
Ja, sehr gern. Das ist nicht nur eine Formulierung im Titel, sondern ein Begriff, der sich durch die ganze Arbeit durchzieht. Ich habe mir viele Gedanken gemacht, wie ich diese Menschen benennen möchte. Ganz zu Beginn hatte ich für mich selbst an „queere Frauen“ gedacht, weil „queer" für mich ein ziemlich inklusiver Begriff ist. Es ist aber zum Teil auch ein anachronistischer Begriff, weil meine, „Teilnehmerinnen“ alle mindestens 50 Jahre alt waren. Gerade als sie ihre ersten Coming-outs hatten, da war „queer“ noch kein Konzept, das an der Tagesordnung stand. Ich habe aber auch nicht unbedingt das Wort „lesbisch“ verwenden wollen, weil es mir wichtiger war, mit Leuten zu reden, die bestimmte Erfahrungen gemacht haben. Diese Erfahrungen waren halt sexuelle oder romantische Beziehungen zu anderen Frauen. Die Selbstdefinition, ob sie sich jetzt als lesbisch oder bisexuell oder als überhaupt nichts definieren, war für mich in dem Moment nicht wichtig. Während des zweiten Interviews habe ich gegen Ende dann auch alle gefragt, ob es für sie okay wäre, wenn ich sie als „frauenliebende Frauen“ bezeichne und das war für alle okay. Ich finde es einen schönen Begriff, der nicht ausschließend ist, egal ob sich jemand nur zu Frauen oder auch zu Männern oder nicht binären Personen hingezogen fühlt.
Da habe ich mit den…
Da habe ich mit den frauenliebenden Frauen echt viel gemeinsam..auch ich liebe Frauen