Politik | Landesregierung

„Mich beflügelt dieser Wechsel“

Als erste Vertreterin einer deutschsprachigen Opposition wird Ulli Mair auf der Regierungsbank Platz nehmen. Im Gespräch mit der Freiheitlichen Frontfrau über Ideologie und Pragmatismus.
Ulli Mair Landtag 2024
Foto:  Seehauserfoto
  • SALTO: Frau Mair, in der Debatte zur Wahl des Landeshauptmannes sagten Sie, dass Sie lange genug auf der Oppositionsbank gesessen sind, um die Stellungnahmen – ein Vorwurf reihte sich an den nächsten – einordnen zu können. Wo ordnen Sie diese ein?

    Ulli Mair: Ich habe damit gerechnet. Auch das gehört zum politischen Alltag und zum Ablauf. Ebenfalls klar war, dass sich die Opposition an Landeshauptmann Arno Kompatscher und an der Regierungskoalition abarbeiten wird. Ich will nicht die einzelnen Wortmeldungen kommentieren, aber ich habe sehr viel Frustration herausgehört und teilweise war die persönliche Kritik überzogen. Überraschend war für mich, dass Kollege Sven Knoll nicht als Gegenkandidat angetreten ist, schließlich hat er sich als Landeshauptmann-Kandidat ausgegeben, wissend, dass es keine Direktwahl gibt, sondern der Landtag den Landeshauptmann wählt.

    Woher dieser Frust? Brigitte Foppa, Sven Knoll und Paul Köllensperger sind keine Polit-Neulinge, sondern „alte Hasen“, die wissen, wie das Geschäft läuft …

    Ich glaube, dass sie anfangen zu begreifen, dass sie – so wie wir – die Möglichkeit gehabt hätten, auf der Regierungsbank zu sitzen. Die Kritik seitens des Team K ist ein sehr einseitiger Blick auf die Dinge, die andere Seite der Medaille ist, dass es keinen guten Eindruck hinterlässt, wenn man dreimal am Tag seine Meinung ändert, den Ruf hat, keine Handschlagqualität zu haben und über Medien noch vor Beginn der Koalitionsverhandlungen Bedingungen diktiert. Was hat man sich erwartet, was Landeshauptmann Kompatscher tun würde?

     

    Was hat man sich erwartet, was Landeshauptmann Kompatscher tun würde?

     

    Die Debatte war ideologisch stark aufgeladen, sinnbildlich dafür steht der Satz, den die Grünen-Sprecherin Brigitte Foppa Richtung Landeshauptmann äußerte: „Die Protestierenden protestieren, weil sie den Glauben in Arno Kompatscher verloren haben.“ Kompatscher als quasi-religiöse Figur, hinter der keine Wähler stehen, sondern Jünger?

    Es tut mir zwar leid für die betreffenden Personen, aber es ist nicht mein Problem, wenn sie in Landeshauptmann Kompatscher etwas gesehen haben, das nicht da ist. An diesem Punkt müssen sich diese Personen selbst hinterfragen bzw. sich fragen, ob sie nicht genau das sehen wollten. Ich kenne ihn, weiß damit umzugehen und traue mir deshalb auch diese Verantwortung zu, wissend, dass es nicht einfach sein wird. Nicht ganz nachvollziehen kann ich den Frust der Enttäuschten, die Kompatscher für jemanden hielten, der er wahrscheinlich nicht ist. Insofern hinterfrage ich die Enttäuschten und nicht Kompatscher. Auch einige Journalisten sollten sich an die Nase fassen: Sie waren es, die Arno Kompatscher in Szene gesetzt und etwas hineininterpretiert haben, das kaum etwas mit der Realität zu tun hat. Nach Erscheinen des Buches „Freunde im Edelweiß“ haben die Medien eine Einteilung in Gut und Böse vorgenommen. Wer nicht für den Landeshauptmann war, war in den Medien eine „persona non grata“. Wir Freiheitlichen hatten enorme Schwierigkeiten, uns blindlings hinter dem Landeshauptmann zu stellen. Das haben wir auch nicht gemacht. Hier ging es um rein persönliche Befindlichkeiten, die in der Politik keine Rolle spielen dürfen. 

  • Ulli Mair: „Wir machen heute eine andere Politik, die tragfähig und regierungsfähig ist.“ Foto: Seehauserfoto

    Sie kamen in Ihrer Rede auch auf die Meinungs- und Werte-Verschiebung in Rom zu sprechen: links ist nicht mehr links und rechts nicht mehr rechts. Ein Phänomen, das auch in anderen Ländern zu beobachten ist. Was aber sind die Freiheitlichen heute? Die neue konservative Mitte? 

    Ich habe mich auf die derzeitige Föderalismus-Reform bezogen, mit weitreichenden Kompetenzen für die Regionen. Die Rechtsparteien in Rom verhalten sich befürwortend, Linksparteien pochen auf Staatseinheit, Zentralismus und nationale Interessen. Also überraschend umgekehrte Rollen, nicht? 

    Wir sind eine Mitte-Rechts-Bewegung, die aber in vielerlei Hinsicht auch starke liberale Ansätze hat. Unseren Werdegang muss man jedoch im Kontext sehen: Vor über 20 Jahren hat es weder soziale Netzwerke gegeben, die Medienlandschaft war eine völlig andere, wie auch das System Südtirol ein vollkommen anderes war. Zu dieser Zeit stellte die SVP beinahe alleine eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag. Damals musste man provokant und überspitzt auftreten, um überhaupt wahrgenommen zu werden. 

  • Was heute Jürgen Wirth Anderlan und Sven Knoll tun?

    Diese Auftritte finden vor allem in den sozialen Netzwerken statt. Anderlan wie auch Knoll bearbeiten dieses Feld und finden dadurch natürlich Anklang bei den Wählern, insbesondere bei den jungen, die keine oder kaum noch traditionellen Medien verfolgen. Die Jungen beziehen ihre Informationen von Plattformen wie TikTok oder Instagram. Während Anderlan und Knoll unsere Politik von vor 20 Jahren nachahmen, haben wir uns aber weiterentwickelt: Wir machen heute eine andere Politik, die tragfähig und regierungsfähig ist. 

     

    Die wirklichen Probleme des Alltages betreffen uns alle, gleich welcher Sprachgruppe wir angehören.

     

    Werner Neubauer von den österreichischen Freiheitlichen, der vor Kurzem in einer Presseaussendung die Haltung der Süd-Tiroler Freiheit wiedergegeben hat, kritisiert darin die Entscheidung der SVP, eine Koalition mit Neo-Faschisten einzugehen, und damit auch indirekt Sie. Von den österreichischen Freiheitlichen, Ihrer Mutterpartei sozusagen, scheinen Sie sich weit entfernt zu haben.

    Eines ist Werner Neubauer, etwas anderes die FPÖ. Ich habe von zahlreichen FPÖlern Glückwünsche erhalten. Im Übrigen haben viele FPÖler nach den Parlamentswahlen Giorgia Meloni gratuliert. Da habe ich von Neubauer nichts gehört. Wir haben uns, wie gesagt, weiterentwickelt. Die Realität in Südtirol sieht nun einmal so aus, dass wir nicht nur ein deutsches Land sind. Es nützt nichts, wenn wir tagtäglich eine Politik betreiben, die gegen eine Volksgruppe gerichtet ist und uns auf eine reine „Tiroler“ Symbolpolitik versteifen und dabei in Kauf nehmen, dass wir angesichts der Migration, einer verfehlten Kulturpolitik, eines EU-Zentralismus und öffentlicher Unsicherheit als Volk untergehen. Die wirklichen Probleme des Alltages betreffen uns alle, gleich welcher Sprachgruppe wir angehören. Natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen zu bestimmten Themen wie beispielsweise zum Muttersprachen-Unterricht, zur doppelten Staatsbürgerschaft, aber die Säulen unserer Autonomie sind unantastbar. Das wird auch von den Fratelli akzeptiert. Weg von der Ideologie hin zur Sachpolitik.

  • Von der Oppositionsbank in die Regierung: In den nächsten Tagen wird sich entscheiden, welches Ressort Ulli Mair übernehmen wird. Foto: SALTO
  • Davon war in der Landtagsdiskussion nicht viel zu sehen, in der es vielmehr um ebendiese ideologische Abgrenzung und die Deutungshoheit darum ging, wer nun gut und böse ist. Fragt man sich nicht, welchen Eindruck das bei den Zuhörern und Zusehern hinterläßt?

    Wir haben niemals die Deutungshoheit eingefordert, das wäre auch undemokratisch. Jene, die sich selbst zu den Guten rechnen und die Demokratie hochhalten, sind auch jene, welche die Deutungshoheit für sich einfordern. Liegen nicht genau in diesem Anspruch „faschistische“ Züge? Wenn man darüber bestimmen will, was gesagt werden darf? Was gut und was böse ist? Irrsinn!

    Genau diese dualistischen Kampfaufrufe, in denen zum Sieg über das Böse aufgerufen wird, scheinen bei manchen jedoch gut anzukommen. Machen die Freiheitlichen einen Fehler, wenn sie sich nicht diesen ideologischen und intellektuellen Auseinandersetzungen stellen?

    Wir stellen uns sehr wohl den Auseinandersetzungen und haben diese nie gescheut. Wir unterhalten uns sehr viel mit den Leuten. Diese sprechen andere Themen an, beispielsweise das leistbare Wohnen, mehr Unabhängigkeit in Wirtschafts- und Energiefragen, die hohen Lebenshaltungskosten. Die Menschen begreifen sehr wohl, dass mehr Autonomie in unserem Land notwendig ist. Unsere Autonomie stammt aus dem letzten Jahrhundert. Die Zeiten und Herausforderungen haben sich geändert und wir brauchen Anpassungen, auch eine Weiterentwicklung. Ein weiteres Thema ist die Steuerung der Migration sowie die öffentliche Sicherheit. Wir haben zwar wenig direkte Kompetenzen, aber in einigen Bereichen haben wir Gestaltungsmöglichkeiten. Das sind die Probleme, die die Menschen beschäftigen. 

     

    „Unser Programm und unsere Weltanschauung haben sich nicht geändert.“  

     

    Die Ideologie darf in einem Koalitionsprogramm keine Rolle spielen. Meine persönliche Meinung zu manchen Dingen wird sich zu bestimmten Fragen deshalb nicht ändern. Uns geht es jedoch darum, konkrete Probleme zu lösen. Nur weil wir einen nüchternen, pragmatischen Zugang haben, heißt das nicht, dass wir uns inhaltlich verändert hätten. Wir haben schlicht und einfach ein anderes Auftreten als noch vor einigen Jahren. Und nun haben wir die Möglichkeit, viele Forderungen, die wir seit jeher gestellt haben, auch umzusetzen. Wir sind stets mit dem Vorsatz angetreten, Südtirol anders auszurichten und irgendwann auch Verantwortung zu übernehmen. Unser Programm und unsere Weltanschauung haben sich nicht geändert.  

  • Ulli Mair: „Wir haben nun die Möglichkeit, das, was wir in der Opposition stets kritisiert haben, besser zu machen, und was wir gefordert haben, umzusetzen.“

    Welche Punkte sollen mit den Freiheitlichen in den nächsten fünf Jahren umgesetzt werden?

    Die blaue Handschrift zieht sich quer durch alle Bereiche. Vor allem durch unser Zutun ist der Koalitionsausschuss zu Stande gekommen. In dieser Mehrparteien-Regierung ist dieser Ausschuss ein sehr wichtiges Organ, unter anderem deshalb, weil auch andere Ressorts, über die wir keine Zuständigkeiten haben, von unserer Handschrift geprägt sind. Der Koalitionsausschuss bewertet und kontrolliert in regelmäßigen Abständen die Arbeit der Landesregierung. Zu seiner Funktion gehört ebenfalls, uns immer wieder auf das Wesentliche, nämlich das Programm zurückzuholen. Damit haben wir eine Kontrolle und die Möglichkeit, zu überprüfen, was umgesetzt wurde. Ich bin deshalb relativ guter Dinge und optimistisch gestimmt, dass die Umsetzung gelingt. Wir haben viele Teile, Maßnahmen und einiges andere des Programmes „blau“ eingefärbt, sei es nun, was den Koalitionsausschuss betrifft, oder auch Themen wie die bürgernahe Verwaltung und Digitalisierung, Sicherheit und Prävention, Zuwanderung, Mietoffensive und leistbares Wohnen, Integration, Soziales, Familienpolitik, Jugend, Bildung, Forschung, Universität, Kultur, Gesundheit – kurzum überall. Wir haben von Beginn an klar kommuniziert, dass wir, sollten wir an den Koalitionstisch eingeladen werden, ein Programm wollen, in der unsere Handschrift klar erkennbar sein wird. Wir haben im Parteivorstand abstimmen lassen und auch jene, die einer Koalition anfangs kritisch gegenüber gestanden sind, gerade was die Fratelli d’Italia betrifft, sind nun davon überzeugt, dass wir ein gutes Programm ausgearbeitet haben. Jeder Freiheitliche kann es unterschreiben.

  • Seit vorgestern gehören Sie zum ersten Mal zur Mehrheit. Ihr Eindruck?

    Mich beflügelt dieser Wechsel, ich bin voll motiviert, weil der Ansporn nun extrem gestiegen ist, durch gute Arbeit auch die Kritiker zu überzeugen. Ich habe im Laufe der Debatte den Eindruck gewonnen, dass nicht das Koalitionsprogramm in der Kritik gestanden ist, sondern die Namen, die darunter stehen. Diese Fünfer-Koalition ist aber keine ideologische Koalition, sondern eine Arbeitskoalition, die sich mit den realen Problemen beschäftigt und umsetzbare Lösungen dafür sucht.

    Was wird in den nächsten fünf Jahren mit den Blauen an der Regierung anders sein?

    20 Jahre Oppositionsarbeit gehen nicht spurlos an jemanden vorbei. Ich habe in meiner Stellungnahme zur Wahl des Landeshauptmannes an einen konstruktiven Ansatz und das höhere Ganze appelliert und werde auch künftig die Zusammenarbeit und einen offenen, respektvollen Umgang mit der Opposition suchen. Da sehe ich mich auch als ein Bindeglied. Aussagen und Forderungen werden in Zukunft sehr viel mehr Gewicht haben, weil das nun politisch entscheidend sein wird. Es hat noch nie eine deutsche Opposition neben der SVP regiert. Es gibt also nichts Vergleichbares. Wir haben nun die Möglichkeit, das, was wir in der Opposition stets kritisiert haben, besser zu machen, und was wir gefordert haben, umzusetzen. Es ist Neuland, dass wir betreten, ich sehe es sogar als eine Art Pionierarbeit. 

     

    „Es ist Neuland, dass wir betreten, ich sehe es sogar als eine Art Pionierarbeit.“

     

    Inwiefern?

    Europaweit nimmt man eine Aufbruchsstimmung wahr und den Wunsch nach Veränderung. Bestimmte Punkte und Themen lassen sich heute nicht mehr weg diskutieren und wir wollen thematisch vorne dabei sein.

    Migration zum Beispiel?

    Nicht nur, aber auch. Energiefragen, das Thema Sicherheit oder auch Nachhaltigkeit. Wir verweigern uns nicht, wie viele vielleicht glauben, dem Thema Klimawandel. Jeder Mensch nimmt diesen wahr und er ist nicht zu leugnen, aber die zu treffenden Maßnahmen müssen vernunftbasiert und auch sozial verträglich sein. Man darf nicht über die Köpfe der Bürger hinweg Entscheidungen treffen, wie sie beispielsweise in Deutschland gefällt worden sind. Andernfalls läuft man Gefahr, Armut zu vergrößern. Vor 20 oder 30 Jahren war es noch möglich, Entscheidungen in Hinterzimmern zu treffen – etwas, dass wir der SVP immer wieder vorgeworfen haben. Während damals jedoch ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestanden sind, ist es heute nicht mehr der Fall. Heute gibt es in Südtirol Familien mit zwei Einkommen, die sich aber weder das Leben noch das Wohnen leisten können. Hier läuft etwas grundsätzlich falsch und wir müssen Lösungen dafür finden. Wir haben nun die Möglichkeit, freiheitliche Politik auf ein neues Niveau zu heben, eine neue Art der Politik zu machen und dadurch unser Land nachhaltig zu verändern. Nicht nur im Sinne einer Klimapolitik, sondern im Sinne einer Politik für die Bürger.

    Sprechen wir noch über die Ressortverteilung, Sie werden die neue Landesrätin für …

    Das sage ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Uns war es wichtig, ein Ressort zu erhalten, in dem wir gestalten können. Und das werden wir auch bekommen. Wir werden versuchen, in diesem Bereich einiges besser zu machen als unsere Vorgänger und starke Akzente zu setzen.