Wirtschaft | Fachkräftemangel

„Politisch unterschätzt“

Laut Prognosen fehlen dem Südtiroler Arbeitsmarkt in zehn Jahren 30.000 Arbeitskräfte. Die vorgestellten Maßnahmen scheinen trotz großer Worte eher vorsichtig.
Achammer, luther
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„Die Arbeit wurde bisher als Kompetenz politisch unterschätzt“, erklärt Landesrat Philipp Achammer beim Beginn des Pressgesprächs zu Arbeit und Wirtschaft. Was der für diese Bereiche zuständige SVP-Politiker damit meint, wird bei einem Blick auf den Südtiroler Arbeitsmarkt klar: Durch den demografischen Wandel kommen im Vergleich zum Austritt der älteren Arbeitskräfte deutlich weniger junge nach. Laut dem Amtsdirektor für Arbeitsmarktbeobachtung, Stefan Luther, werden in den nächsten Jahren jährlich 3.000 Menschen mehr aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden als eintreten. In zehn Jahren werden dann wahrscheinlich 30.000 Arbeitskräfte fehlen, wobei sich diese Zahl abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung nach unten oder oben bewegen kann.
 
 
Dass viele Südtiroler*innen nach ihrem Studienabschluss im Ausland bleiben, es Müttern schwerfällt, wieder in den Beruf einzusteigen und der Wohnraum hierzulande sehr teuer ist, macht die Situation auch nicht besser. Gleichzeitig will Südtirol als Wirtschafts- und Lebensstandort weiterhin attraktiv bleiben, es soll laut Achammer langfristig der „best place to work“ werden. Aber eine „schnelle Lösung für den Arbeits- und Fachkräftemangel“ gebe es nicht. Derzeit arbeite man in seinem Ressort an drei großen Schwerpunkten, um die Situation am Arbeitsmarkt zu entspannen.
Das sei erstens die Effizienzsteigerung in der Südtiroler Wirtschaft: Das betrifft sowohl die Erhöhung der Beschäftigungsquote in der Bevölkerung durch die Eingliederung von einigen tausend Südtiroler Arbeitslosen mithilfe des neu geschaffenen Arbeitsmarktservice letztes Jahr als auch die Unterstützung von Kleinstbetrieben bei der Digitalisierung. „In Südtirol gibt es viele kleinstrukturierte Unternehmen, rund 34.000 von ihnen haben nur ein bis fünf Angestellte und nicht die Ressourcen, um Abläufe zu digitalisieren“, erklärt Achammer. Mit der im letzten Jahr beschlossenen Digitalisierungsoffensive erhalten die Kleinstunternehmen mit bis zu fünf Angestellten einen Zuschuss für Schulungen, Beratungen sowie den Ankauf und die Optimierung von Software mit bis zu 60 Prozent der zulässigen Ausgabe im Rahmen der De-Minimis-Regelung.
Zweitens wolle sein Ressort einen Schwerpunkt auf die Erhaltung von wichtigen Strukturen hierzulande legen, bestes Beispiel seien dafür die letzten Geschäfte im ländlichen Raum: „Die Dorfläden bringen Leben in die Ortschaft, aber bei rund 16 Prozent von ihnen steht nun die Generationenübergabe an“, sagt der Wirtschaftslandesrat. Außerdem könnten viele dieser Betriebe ohne Landesbeiträge nicht überleben. „Deshalb braucht es neue Mischnutzungen und innovative Modelle, die auch für junge Menschen attraktiv sind.“ So könne das letzte Geschäft im Dorf nicht nur die Funktion eines „Tante-Emma-Ladens“ erfüllen, sondern auch Kaffee anbieten oder einen Teil der Räumlichkeiten einem Frisörsalon zur Verfügung stellen.
 

Bessere Rahmenbedingungen

 
Drittens müssten die Rahmenbedingungen für Arbeit in Südtirol laufend verbessert werden. „Arbeit soll sinnstiftend sein und zu Selbstwirksamkeit führen, aber der Gehalt dafür muss auch gerade für Berufseinsteiger*innen für ein gutes Leben ausreichen. Denn in den Einstiegsjahren sind die Investitionen oft so groß, dass die Einstiegsgehälter höher und deren Entwicklung flacher sein müssten“, so Achammer. „Wenn wir jetzt nicht eine Kraftanstrengung unternehmen, gehen wir das Risiko ein zurückzufallen“, betont er.  
 
 
Ein großes Thema für Arbeitnehmer*innen ist die schwierige Wohnungssuche in der Provinz, vor allem für jene aus dem Ausland. Deshalb hatte die Landesregierung im Dezember 2021 eine Übergangslösung beschlossen: „Im Moment sind die Durchführungspläne der verschiedenen Gemeinden in Überarbeitung, um temporäre Wohnungen in Produktionszonen zu ermöglichen. Diese eigenen sich etwa für einen interessierten Arbeiter aus Norddeutschland oder dem Fahrer eines Transportunternehmens, der nachts im Betrieb zurückkommt.“ Die Durchführungspläne für Bozen Süd und die Einsteinstraße wurden von der Landesregierung bereits genehmigt.  
Das Ziel, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, hängt mit den zuvor genannten Schwerpunkten zusammen, um vor allem junge und ältere Menschen sowie Frauen besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Bei der jungen Generation soll die duale Ausbildung weiter gestärkt werden. Etwa erhalten derzeit 115 Betriebe die Lehrlingsprämie, weil sie junge Menschen bis zum Abschluss ihrer Lehre begleiten. Ältere hingegen haben im Rahmen des Solidaritätsfonds, der Teil der Reform im Finanzgesetz für das Jahr 2022 ist, die Möglichkeit die Altersteilzeit („staffetta generazionale“) zu nutzen und so länger im Arbeitsmarkt zu bleiben. Außerdem fordert Achammer eine Vereinfachung der nationalen Regeln für Gelegenheitsjobs, die auch Pensionist*innen ausüben können.
Was die Frauen betrifft, soll ein Treffen Anfang Februar mit Soziallandesrätin Waltraud Deeg und den Gemeinden bei der Ganztagesbetreuung der Kinder die Vereinbarung von Beruf und Familie erleichtern. „Es wäre sinnvoll, die Südtiroler Gemeinden in Einzugsgebiete zusammenzufassen, in denen außerschulische Tätigkeiten und ein ganztägiges Kindergartenangebot gebündelt werden“, so Achammer. Außerdem soll dieses Jahr die bereits angekündigte Förderung für weibliches Unternehmertum umgesetzt werden, die die Förderung einer Ersatzarbeitskraft während der Elternzeit für 18 Monate garantiert.