Wirtschaft | Tourismus

„Wir müssen eine Grenze ziehen“

Während die Gemeindevertreter, Hotelier- und Gastwirte Einschränkungen fürchten, fordert der Dachverband für Natur- und Umweltschutz eine Zügelung des Tourismus.
Rohrer, Madeleine
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Salto.bz: Frau Rohrer, gemeinsam mit dem Heimatpflegeverband haben Sie vor Kurzem Stellung gegen das „strikte Nein“ der Pustertaler Bürgermeister zum neuen Landestourismuskonzept (LTEK) bezogen. Was ist Ihre Befürchtung?
 
Madeleine Rohrer: Wir haben das, was das LTEK erstmals vorsieht, immer wieder gefordert, und zwar die Einführungen einer Bettenobergrenze. Angesichts der letzten touristischen Rekordjahre, in dem jeder über Overtourism, Verkehrsüberlastung und überfüllte Ortszentren und Berge geklagt hat, ist sowohl die gesamte Problematik ersichtlich geworden, als auch die Notwendigkeit, die touristische Entwicklung zu steuern und zu zügeln. Es wird geschätzt, dass es in Südtirol rund 229.000 Betten gibt – übrigens ist im neuen LTEK endlich eine Zählung der effektiv vorhandenen Betten vorgesehen und zwar für das Rekordjahr 2019. Dazu kommen noch einmal rund 20.000 Betten, die noch vor Einführung des neuen Gesetzes für Raum und Landschaft genehmigt worden sind. Wir sprechen hier also von mindestens 250.000 Gästebetten, über die Südtirol zukünftig verfügen wird.
 
Eine enorme Zahl, wenn man bedenkt, dass Südtirol „nur“ rund 530.000 Einwohner zählt.
 
Das trifft den Nagel auf den Kopf und daraus resultiert auch die Notwendigkeit, eine Grenze zu ziehen. Sieht man sich nämlich die Nächtigungszahlen an, stellt man fest, dass zwischen 2009 und 2019 diese um 20 Prozent zugenommen haben, das bedeutet, dass wir derzeit auf rund 33 Millionen Nächtigungen pro Jahr kommen. Dabei bleiben die Gäste immer nur wenige Tage, weshalb zum Beispiel der Verkehr zunimmt.
 
Wir sprechen hier also von mindestens 250.000 Gästebetten, über die Südtirol zukünftig verfügen wird.
 
Manfred Pinzger, Präsident des HGV, erklärte kürzlich im Salto-Interview, dass der große Zuwachs bei den nichtgewerblichen Betten zu verzeichnen war, wie beispielsweise die viel kritisierten Angebote über Airbnb, die gewerblichen aber eher stagnierten.
 
Da stimme ich absolut zu und es ist ein großes Manko, dass im LTEK eine klare Regelung für Airbnb-Angebote fehlt. Wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, dann meinen wir ökologische, wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit. Was Airbnb betrifft, sehen wir insbesondere bei letzterem Punkt ein großes Konfliktpotential, und zwar mit dem Wohnungsmarkt. Jede Wohnung, die über Airbnb vermietet wird, wird dem Mietmarkt entzogen. Damit wird es für die Südtiroler und Südtirolerinnen immer schwieriger, leistbaren Wohnraum zu finden. In touristisch stark erschlossenen Gebieten wie beispielsweise in der Gemeinde Wolkenstein ist es so gut wie unmöglich, bezahlbare Wohnungen zu finden, denn die Preise liegen inzwischen jenseits von Gut und Böse. Für Meran und Bozen gilt übrigens das Gleiche. Einige Länder und Regionen haben inzwischen eine Obergrenze eingeführt. So dürfen Wohnungseigentümer nur mehr eine bestimmte Anzahl von Wohnungen über Airbnb vermieten oder auch nur über eine begrenzte Anzahl von Tagen.
 
 
 
Eine Regelung für Airbnb sollte Ihrer Meinung nach also unbedingt in das LTEK aufgenommen werden?
 
Auf Basis des Tourismuskonzepts werden die Durchführungsbestimmungen erlassen – laut Landesrat Schuler ist im April damit zu rechnen. Darin muss auch eine Regelung zu Airbnb enthalten sein. Im Rahmen einer Erhebung der EURAC wurde nämlich festgestellt, dass in Südtirol rund 4.000 Wohnungen über dieses touristische Angebot vermietet werden – damit liegt Airbnb ungefähr in derselben Größenordnung wie Urlaub am Bauernhof. Bedauerlicherweise liest man in den verschiedenen Presseberichten und Interviews mehr zu den geplanten Inhalten der Durchführungsbestimmungen als in den offiziellen Akten.
 
Die Präzisierungen erfolgen peu à peu?
 
De facto ist das so. So hat Landesrat Schuler kürzlich über die Medien erklärt, dass für kleine Betriebe eine Bettenaufstockung möglich sein soll, die dann jedoch zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgezogen wird, vergleichbar mit dem Guthaben auf einer Bank.
 
Gemeint ist damit die sogenannte Bettenbörse?
 
Es ist eine Ergänzung zur geplanten Bettenbörse, die nach den Beschwerden über die angeblich zu restriktiven Einschränkungen für die kleinstrukturierten Betriebe eingeführt wurde. Damit soll eine bestimmte Anzahl an Betten den kleinen Betrieben vorbehalten bleiben, die dann vom Kontingent aber wieder abgezogen werden müssen. Ob diese Betten später wieder zurückgegeben werden, daran habe ich meine Zweifel. Wir stellen fest: Rund um die Durchführungsbestimmungen, die sich derzeit in Ausarbeitung befinden, wird zurzeit viel Lobbyismus betrieben, was zu einer Aufweichung des eigentlichen, guten Konzepts führt.
 
Es wird zurzeit viel Lobbyismus betrieben.
 
Einige Kritikpunkte, die unter anderem vom HGV vertreten werden, wie beispielsweise, dass für strukturschwache Gebiete andere Lösungen als die Bettenbörse gefunden werden müssen, sind durchaus nachvollziehbar.
 
Es ist eine Tatsache, dass wir nicht so weiter machen können wie bisher. Der Massentourismus verursacht zu viel Verkehr und Müll und verbraucht zu viele Ressourcen wie Wasser. Bestes Beispiel dafür sind die Gemeinden Kastelruth und Hafling. Man weiß aus Untersuchungen, dass Urlaubsgäste zwei bis fünf Mal soviel Wasser verbrauchen als Personen, die permanent hier wohnen. Es darf nicht soweit kommen, dass sich die Einheimischen einschränken müssen und im Sommer den eigenen Garten nicht gießen dürfen, während der Gast eines Fünf-Sterne-Hotels weiterhin in einem Schwimmbad planschen darf. Wir müssen unseren Blick über den Bettenbestand hinaus darauf richten, welche Form des Tourismus in Südtirol Zukunft hat. Natürlich hat der Tourismus einen gewichtigen Stellenwert, aber es stellt sich die Frage, welche Art von Tourismus wir brauchen und welche Art von Tourismus wir uns noch leisten können. Die Touristen kommen wegen der schönen Landschaft, der unberührten Natur und der Gastfreundschaft nach Südtirol. Diese Ressourcen dürfen wir nicht zerstören.
 
Haben Sie konkrete Vorstellen über die Art und Weise, wie der Tourismus gezügelt werden kann? Über die Bettengrenze hinaus?
 
Der Tourismus ist für rund 18 Prozent der CO2-Emissionen in Südtirol verantwortlich. Die Klimahaus Agentur hat vor einiger Zeit damit begonnen, Hotels zu zertifizieren. Das ist in erster Linie als Hilfe für die Gastwirte gedacht, die ihren Energieverbrauch und damit CO2-Ausstoß reduzieren wollen. Zurzeit sind gerade einmal 15 Hotels zertifiziert und 15 weitere befinden sich noch in der Phase der Zertifizierung. Angesichts der hohen Energie-Preise sollte es eigentlich im Interesse der Hoteliers und Gastwirte sein, eine derartige Zertifizierung zu erlangen. Es wäre angebracht, diese für alle neu errichteten Betriebe vorzuschreiben und bei bestehenden Hotels zu fördern. Wenn Südtirol Klimaland sein will, dann ist das ein notwendiger Schritt in diese Richtung. Das ist auch einer der Hauptgründe, weshalb wir insbesondere auf die Stellungnahme der Pusterer Bürgermeister reagiert haben. Ihre Aufgabe ist es, nicht nur den Tourismus zu vertreten, sondern auch die Kinder und die zukünftigen Generationen in ihrer Gemeinde. Das bedeutet, Südtirol für den Klimaschutz und die Klimakrise fit zu machen, aber auch die Lebensqualität zu erhalten bzw. zu verbessern.
 
 
Die Kritik einiger Gemeindevertreter betraf unter anderem auch die „Vernachlässigung“ der touristisch wenig erschlossenen Gebiete, wo auch zukünftig, geht es nach dem LTEK, eine Entwicklung schwer möglich sein soll. Geraten nicht gerade jene Gemeinden, die sich einen wirtschaftlichen Aufschwung durch mehr Tourismus erhoffen, ins Hintertreffen?
 
Das Tourismuskonzept sowie der geplante Bettenstopp haben eine Diskussion darüber angestoßen, ob es noch Orte in Südtirol geben kann, die unberührt sind und auch in Zukunft bleiben sollen. Eine wichtige Diskussion, wie ich finde. Leider wurde das Tourismuskonzept nicht wie ein Fachplan behandelt, in dessen Vorfeld jede Bürgerin und jeder Bürger, jede Gemeinde und Organisation ein Gutachten abgeben kann, und der anschließend vom Landtag verabschiedet wird. Beim LTEK war der Partizipationsprozess gleich Null und auch die Durchführungsbestimmungen werden in Form von Beschlüssen von der Landesregierung erlassen – ein offener Prozess rund um die Frage, in welche Richtung sich Südtirol entwickeln muss, ist somit ausgeschlossen. Eine wichtige Frage betrifft dabei die Infrastruktur wie beispielsweise die Aufstiegsanlagen. Ist es notwendig und richtig, dass diese mit derart hohen öffentlichen Beiträgen bezuschusst werden? Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die unserer Meinung nach Ungleichbehandlung der touristischen Strukturen. Es sollten für alle dieselben Regeln gelten und hier muss sicher noch nachgebessert werden. Leider sieht das LTEK vor, dass für Urlaub am Bauernhof andere Regeln gelten als für kleine Gastbetriebe.
 
Das sehen die Vertreter der Landwirtschaft vermutlich anders, die darauf beharren, dass Urlaub am Bauernhof dem Überleben des Betriebes dient.
 
Natürlich ist UaB ein wichtiges Standbein für die kleinen Höfe, in der Realität haben wir aber auch Betriebe, die mehr einem Hotel gleichen als einem Bauernhof.
 
Wir haben UaB-Betriebe, die mehr einem Hotel gleichen als einem Bauernhof.
 
Tourismus und das damit zusammenhängende Verkehrsproblem. Wie lösen wir das?
 
Das ist die große allumfassende Frage. Wir brauchen erstens und vor allem einen massiven Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Es kann nicht sein, dass ein Jahrzehnte lang gefordertes Projekt wie die Riggertalschleife erst im Zuge der Olympischen Winterspiele 2026, wo einige Bewerbe in Antholz ausgetragen werden, umgesetzt wird. Es kann nicht sein, dass der Ausbau der Bahnlinie Meran – Bozen um mehr als zehn Jahre verschoben wird. Es kann auch nicht sein, dass die Elektrifizierung der Vinschgerbahn immer noch nicht abgeschlossen ist. Es kann nicht sein, dass wir zwar Klimaland sein wollen, aber wieder Dieselbusse einführen, obwohl eine Studie der EURAC dezidiert sagt, dass es möglich ist, alle Linien mit E-Bussen abzudecken. Und zu guter Letzt darf es auch nicht sein, dass der Bozner Flughafen trotz des Widerstandes ausgebaut wird. Wir müssen von der fossilen individuellen Mobilität wegkommen hin zu einem öffentlichen Verkehr, der alle touristischen Zentren erreicht und der bequem genutzt werden kann.
 
 
Des Deutschen liebstes Spielzeug ist immer noch das Auto. Wie wollen Sie insbesondere bundesdeutsche Touristen dazu animieren, darauf zu verzichten und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen?
 
Es gibt bereits Hotels, die ihre Angebote danach ausrichten bzw. die Gäste mit Rabatten belohnen, wenn sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Zudem verzichten immer mehr junge Menschen aus den Städten auf den Führerschein. Wir müssen aber auch vorausdenken: Südtirol wird mit dem Brennerbasis-Tunnel eine der größten Verkehrsinfrastrukturen im Bahnverkehr besitzen. Die Reisezeit von München nach Bozen wird damit erheblich reduziert. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass die Touristen in Bozen aussteigen und bequem mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder auch mit elektrischen Sammeltaxis zu ihren Hotels gelangen können. Südtirol ist übrigens eines der beliebtesten Reiseziele für den Fahrradtourismus und genau diese Projekte müssen gefördert werden, damit wir von den Kurzaufenthalten wegkommen hin zu einem nachhaltigen Tourismus.
Kürzlich wurde der aktuelle Bericht des Weltklimarates vorgestellt und viele Aussagen lassen sich auch auf Südtirol und die Diskussion zum Tourismusentwicklungskonzept übertragen. Im Bericht wird das zu geringe Engagement des privaten Sektors sowie der Bürger kritisiert, aber auch das Fehlen einer politischen Führung.