Verfassungsreform
Es gibt viele Gründe für das Nein, aber die triftigeren sprechen für das Ja
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Alfonse Zanardi Fr., 25.11.2016 - 14:18

Guter Beitrag, warum überhaupt ein Referendum abgehalten wird ist angesichts des Affentheaters schon fraglich.
Direkte Demokratie führt sich ad absurdum wenn Fundamental-Opposition, Populisten und verantwortungslose Besserwisser sich zwecks Abschuss des Premiers verbünden.
Was bitte soll nachher kommen?

Fr., 25.11.2016 - 14:18 Permalink
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Martin Daniel So., 27.11.2016 - 00:05

Ich hoffe seit den 90er Jahren auf eine Reform der Verfassung. Und auch ich hatte, was das angeht, meinen Wunschzettel an das Christkind. D'Alema hatte viele gute Ansätze, doch brauchte er Berlusconi und der hat die Reformen seiner Bicamerale mit der Forderung, eine tiefgreifende Justizreform miteinzubeziehen, versenkt. Berlusconis Reform von 2006 war hingegen dermaßen augenscheinlich auf sich selbst zugeschnitten, dass das Volk die klein-erdogan'schen Machtgelüste mit einer 65%-Mehrheit an den Absender zurückschickte. Spezifische Änderungen, die - wie jene von 2001 und 2003 - nicht die zentralen Verfassungsorgane betrafen, konnten durchgebracht werden, aber eine systematische Neuordung gelang nicht und verschwand von der Bildfläche.
Massimo Cacciari sagte selbstanklagend, es handle sich um eine schlechte Reform, aber da er und seine Politikergeneration in den letzten 20 Jahren gescheitert waren, jene Reformen zu liefern, zu denen es einen breiten parteienübergreifenden Konsens gäbe (es geht ganz klar um das perfekte Zweikammernsystem), stünde ihm und seiner Generation bei ihrem Nein nicht mehr das Recht zu, sich über den Stillstand zu beklagen.
Wenn wir Ideallösungen fordern, ist es unrealistisch, dass es jemals irgendeine große Verfassungsreform in Italien geben wird. Jedes Mal wird irgendwer aus irgendwelchen egoistischen Beweggründen mit erpresserischen Methoden die große Systemreform blockieren. Diese ist eine Reform mit einigen schlechten Teilen, andererseits haben gewichtige Wortführer der Gegner (Berlusconi, Bersani) und ihre Leute 3 Mal in jeder Kammer für diese Reform gestimmt, die sie jetzt vehement bekämpfen. Als Sympathisant der direkten Demokratie finde ich im Übrigen, dass diese Fragestellung für die Bürger unzumutbar ist. Wenn sich Verfassungsjuristen befetzen und über ein und denselben Punkt gegensätzliche Bewertungen und Interpretationen liefern, wie soll sich dann ein Vollzeit-Werktätiger in der Metallindustrie ein Bild davon machen?

@ THOMAS: Meine Meinung beruht nicht auf Renzi Rücktritts-Drohung (das ist lediglich ein zusätzliches realpolitisches Argument). Ich kann seinem Stil und vielen Teile seiner Politik wenig abgewinnen. Ausschlaggebend für mich ist die Abschaffung des perfekten Zweikammernsystem mit einhergehender Reduzierung der Parlamentarier (Frage: gibt es überhaupt ein Land auf der Erde, das mehr hat als die 945+x Italiens?). Wenn diese jetzt abgelehnt wird, rechne ich nicht damit, das noch zu erleben.
Ich schätze die Änderungen zur direkter Demokratie nicht weiß Gott wie positiv ein: Ich erwähne das propositive Referendum mit keinem Wort; unterstreiche, dass neben den 500.000 Unterschriften, die für die Einberufung eines Referendums beibehalten werden, zusätzlich die Reduzierung des Quorums bei 800.000 Unterschriften vorgesehen wird. Es hat durchaus schon Fragestellungen gegeben, für welche diese Hürde genommen wurde. (Die Sammlung der Unterschriften ist mit einfachem Gesetz geregelt und kann viel einfacher zum Besseren geändert werden, wenn irgendwer will). Natürlich sind mir eine Abschaffung des Quorums oder niedrige Zustimmungsquoren wie in Bayern etc. lieber, aber das steht nicht zur Debatte. Und wird in Rom wohl sehr lange nicht zur Debatte stehen. Zudem werden zwar die Unterschriften für Volksbegehren von 50.000 auf 150.000 erhöht, aber im Gegenzug die Pflicht für das Parlament eingeführt, über den Text abzustimmen und die Initiative nicht einfach mehr versanden lassen zu können. Das gesamte Direkte-Demokratie-Paket ist m.E. in etwa neutral bis leicht verbessernd zum Ist-Stand.
Was heißt "durchregiert"? Das dürfte wohl das sein, was in Deutschland, Frankreich, Spanien, Großbritannien oder Österreich das politisches Tagesgeschäft ist. Nur in Italien wurde das Verfassungsgefüge so konzipiert, dass der Wahlsieger nicht regieren und jede noch so kleine Splitterfraktion der Koalition eine Regierungskrise auslösen kann. Bis Berlusconi 2008 die Wahlen gewann, gab es mit dieser Verfassung eine Regierung pro Jahr. Mir kommt vor, in Italien haben viele eine Vorstellung von Demokratie, in der nur diskutiert wird, in der mit Fug und Recht in alle Ewigkeit Obstruktionismus betrieben werden darf und schlussendlich politische Minderheiten jegliches Handeln blockieren können. Ich erinnere nur an die vergeblichen Versuche diverser Regierungen die unhaltbaren Monopol-Privilegien von Apothekern oder Taxifahrern zu reduzieren; diesen winzigen Minoritäten ist es stets gelungen, den politischen Willen der Mehrheiten auszubremsen.
Und ich wiederhole mich: Das Verfassungsgericht wird die Mehrheitsprämie des Italicum aller Voraussicht nach kippen, wenn Renzi es nicht ändert. So wie es gestern die seine Reform der Ö.V. gekippt hat.

So., 27.11.2016 - 00:05 Permalink
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Karl Trojer Mi., 30.11.2016 - 16:50

Die Analysen von Martin Daniel sind aus meiner Sicht objektiv und frei von fundamentalistischen Vollkommenheits-Forderungen. Italien wird, so meine ich, bei ausreichender Wahlbeteiligung mit JA stimmen, da erfahrungsgemäß bei der Mehrzahl der Italiener letztlich der Hausverstand überwiegt..

Mi., 30.11.2016 - 16:50 Permalink