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„Normalität, was ist das?“

Foto: Felix Blasinger
Poetry Slam in Südtirol hat seinen Platz gefunden, pendelnd zwischen Pop- und Hochkultur. Slam ist ein Freiraum, der, wie andere, durch Corona eine Zäsur erfahren hat. Die Szene selbst ist im Hintergrund, abseits der Südtiroler Bühnen aktiv geblieben. Das weiß wohl niemand besser als Lene Morgenstern, die in Anlehnung an die Österreicher Markus Köhle und Mieze Medusa, Papa und Mama Slam ihres Zeichens, hierzulande schon mal den selben Titel wie letztere erhält.
Salto.bz: Frau Morgenstern, die Poetry Slam Szene macht einen Schritt in Richtung Normalität: Diesen Freitag findet seit der Coronapause erstmals ein Ost West Slam statt, der einzige regelmäßig stattfindende Slam Südtirols. Erwacht die Szene damit wieder?
Lene Morgenstern: Die Szene ist aktiv, das sieht man vielleicht nicht, aber die ganze Pandemie hat natürlich etwas mit der Szene gemacht. Es hat viel an Vernetzung statt gefunden. Im Hintergrund sind auch neue Organisationsteams entstanden und Poeten und Poetinnen sind viel zu Auftritten gefahren, nach Wien, Freiburg, Mailand, auch während der Semi-Lockdowns. Das ist trotz Pandemie passiert. Sie waren auch bei der Weihnachtsfeier dabei und haben gesehen, dass die Gruppe nicht gerade klein ist. Das, was effektiv nicht mehr so ist, ist die Regelmäßigkeit mit der Slams vor der Pandemie stattgefunden haben. Ganz ehrlich weiß ich nicht, ob das nur mit der Pandemie zusammenhängt: Vielleicht ist das auch eine natürliche Entwicklung. Vor der Pandemie gab es sehr viele Slams und auch ein wenig zu viel. Vielleicht hat eine Sättigung stattgefunden, es ist ja auch viel Arbeit einen Slam zu organisieren. Da sind andere Ressourcen frei geworden, in dieser Zeit. Zurück zum Thema: Normalität, was ist das? Ich weiß nicht, ob man den Begriff in die Kunst einführen kann. Ich glaube es wird auf jeden Fall Veränderung der Form der Szene geben.
Wie könnte diese Veränderung aussehen?
Ich habe so einiges gehört. Ich glaube, es wurden auch neue Erfahrungen gemacht, die Pustertaler Szene wird derzeit etwa selbstständiger. In den Bereichen, die ich organisiere ist da nicht mehr so viel, wie es vor Jahren war, da hat sich mit der fixen Planbarkeit etwas verändert. Als Typ Mensch hatte ich aber nie das Bedürfnis nach einem fixen Fahrplan, ich handle das immer so, wie es gerade möglich ist. Es laufen derzeit andere Projekte wie 5x2 Vocal Jazz, und Umstrukturierungen in der Südtiroler Autorinnen und Autoren Vereinigung, was Ressourcen abzieht. Es passiert nach Außen weniger, weil man nach Innen arbeitet. Es gibt einen Wechsel der Geschäftsleitung, ich bin ja auch im Vorstand, das ist sehr viel Arbeit. Beim Ost West Slam bin ich nicht mehr an der Planung beteiligt. Wie ich das mitbekommen hatte, sind sie durch das kleine Lokal, das sie bespielt haben extrem getroffen worden und konnten fast nur noch im Sommer aktiv sein.
Die Slamily fügt sich natürlich aus zwei Teilen zusammen, zum einen die Organisator:innen, zum anderen, diejenigen, die gerne auf die Bühne gehen und von dem, was darum herum passiert weniger mitbekommen. Aus Sicht der Slammer gibt es in diesem Jahr einfach weniger Auftrittsmöglichkeiten.
Ich sehe das anders. Ich sehe eine Stärkung in der Vernetzung. Wir werden viel öfter angeschrieben, wenn es um die Teilname an Meisterschaften geht.
Das ist Aktivität nach außen, ein anderer Sektor als die Aktivität im Land…
Das stimmt, zu Gute kommt es aber den Slammer:innen, nicht den Organisator:innen. Da wurde viel gearbeitet. Die Sichtbarkeit gibt es da nicht. Um ein konkretes Beispiel zu nennen, im Herbst passiert da sehr viel, etwa die deutschsprachigen Meisterschaften in Wien, da gab es eine lange Vorlaufzeit für die Beteiligung oder Nichtbeteiligung. Man muss ja auch darauf achten, dass man nominierungs-berechtigt bleibt. Das sieht man nicht, muss man aber auch nicht. Ich habe mir nie die Frage gestellt, ob man das alles sehen muss.
Sie sind mitunter zweisprachig auf der Bühne und vernetzen Sich auch. Welchen Eindruck haben Sie von der italienischen Slam Szene Südtirols?
Da ist noch ganz viel zu machen und sehr viel Luft nach oben. Das wäre ein nächster wichtiger Schritt, den wir in der SAAV besprochen haben. Das Miteinander läuft im Slam noch am besten, wir haben gute Kontakte zum restlichen Italien, aber nicht in Südtirol. Das ist aus der Geschichte Südtirols heraus zu verstehen. Ein Beispiel: Durch die Trennung der Schulen laufen die Slams in dieser Altersklasse parallel nebeneinander statt miteinander. Interessanterweise geht man beim Studium, in dieser Altersklasse ja wieder an die gleiche Universität. Die Frage, warum es da zwei Szenen gibt, auch wenn es im Italienischen, so wie ich das mitbekomme, eine kleinere ist. Die Frage, warum das nicht stärker vernetzt ist, bringe ich wirklich mit den Schulen zusammen. Das ist schade. Da bräuchte es Ressourcen und Menschen, die Ideen haben, wie wir die beiden zusammen bringen.
Stichwort Schul-Slams, hat sich dort durch die Pandemie etwas verändert?
Nein, interessanterweise nichts. Ich habe erst ein Plakat von einem Slam im Gymnasium Walther von der Vogelweide gesehen. Persönlich war ich nicht dort, weil ich eine andere, berufliche Verpflichtung hatte, aber ich denke die Schule legt wert darauf, dass diese Dinge gemacht werden. Wo man auch noch den Einfluss von Slam sieht, sind die verschiedenen Redewettbewerbe. Da hat die Slam Szene abgeräumt. Das Feld verstärkt sich und weitet sich, vielleicht ist der Name „Poetry Slam“ nicht mehr so oft in Gebrauch, obwohl jeder Mittlerweile weiß was Poetry Slam ist. Vielleicht waren die Wettbewerbe weniger da.
Wie sehen Sie das, dass der Wettbewerbscharakter weniger dominiert?
Vor der Pandemie war das von manchen ein Kritikpunkt, dass alles auf Wettbewerb hinausläuft. Jetzt läuft weniger auf Wettbewerb und mehr auf Vernetzungen und Auftritte, es geht darum, die Leute unterzubringen. Das ist alles Pflege der Szene, deswegen möchte ich Slam gerne weiter fassen. Die Kritik kommt von vielen Ansatzpunkten aus: Ist das nicht sehr amerikanisch und nach dem Leistungsprinzip und außerdem nicht gerecht? Es gab bestimmte Menschen, die damit immer wieder Probleme hatten, das Publikum nicht. Es hat sich unterhalten. Es ist auch okay, dass es immer kritische Stimmen gab. Es hat sich etwas verändert und ich persönlich will das auch zulassen. Der Wettbewerb kommt sicher wieder, muss er auch. Zum Wettbewerb möchte ich noch etwas sagen: Der war in Südtirol nie so stark ausgeprägt wie etwa in Deutschland. Ich kann mich erinnern, vor der Pandemie war ich mit Felix Maier, der damals nominiert war für die deutschsprachigen Meisterschaften in Berlin. Wir waren beim Finale und das Tempodrom war vollkommen ausverkauft. Es war wie ein Zirkus. Das gab es nie so bei uns. Man sah, die Teilnehmer holten die Art von Texten hervor, die es brauchte um gewinnen zu können. Südtirol hat da einen anderen Zugang zum Wettbewerb.
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